Schockstarre gelöst, aber keine Entwarnung

Schockstarre gelöst, aber keine Entwarnung

Schockstarre gelöst, aber keine Entwarnung

Die Geschäftslage der niedersächsischen Wirtschaft war auch im zweiten Quartal katastrophal und verzeichnet nach wie vor einen historischen Tiefstand. Vielen Unternehmen fehlt bis heute noch die Nachfrage aus dem In- und Ausland, die Umsätze der Unternehmen bewegen sich auf Jahressicht im Durchschnitt auf kaum mehr als 80 Prozent des Vorjahres.

„Nach der schrittweisen Aufhebung des Lockdowns schöpfen unsere Unternehmen zwar etwas Hoffnung auf Besserung, doch mit den aktuellen Kapazitätsauslastungen können die Betriebe nur in wenigen Fällen ihre Kosten tatsächlich decken“, so Dr. Horst Schrage, Hauptgeschäftsführer der IHK Niedersachsen.

Die meisten Branchen erwarten nicht vor 2021 eine Rückkehr zum alten Niveau. Die verbesserten Erwartungen der Unternehmen lassen den IHK-Konjunkturklimaindikator für das zweite Quartal 2020 zwar um 28 auf 76 Punkte (Vorquartal: 48 Pkt.) springen, doch das ist immer noch deutlich schlechter als der Vorjahreswert von 104 Punkten.

Das ist das Ergebnis der Konjunkturumfrage der niedersächsischen Industrie- und Handelskammern mit über 1.900 Unternehmens­antworten. „Die Hilfen der Politik wirken, sie sind weiterhin unbedingt erforderlich, um an sich gesunde Unternehmen zu retten. Große Sorgen machen wir uns unverändert um die Reisewirtschaft und die Veranstalter“, so Schrage weiter.

Die Wirtschaftslage in Niedersachsen bleibt stark branchenabhängig. Während die Ernährungswirtschaft, die Bauwirtschaft und einige Dienstleistungsbranchen wie Ingenieurbüros mehrheitlich zufrieden sind, berichten viele stark exportabhängige Unternehmen, Teile des Handels und viele Dienstleister noch von einer sehr schlechten Geschäftslage.

Durch behördliche Auflagen stark reglementiert bzw. geschlossen ist noch das Veranstaltungsgewerbe (Messen, Kulturveranstaltungen). Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Die aktuelle Geschäftslage wird von 19 Prozent (Vorquartal: 16 %; Vorjahr: 31 %) der Unternehmen als gut beurteilt, unverändert 42 Prozent (Vj. 59 %) sind zufrieden und 38 Prozent (Vq. 42 %; Vj. 11 %) beurteilen ihre Lage als schlecht.

Die Erwartungen an die kommenden Monate spiegeln die Hoffnung in einigen Branchen wider: 15 Prozent der Unternehmen (Vq. 6 %; Vj. 13 %) rechnen mit einer günstigeren Geschäftsentwicklung und 42 Prozent (Vq. 18 %; Vj. 65 %) erwarten gleich bleibende Geschäfte und 43 Prozent (Vq. 76 %; Vj. 22 %) rechnen mit einer negativen Entwicklung.

Über alle Branchen rechnet knapp jedes fünfte Unternehmen mit einem Umsatzrückgang im Jahr 2020 von mehr als 25 Prozent, 13 Prozent der Unternehmen können den Rückgang noch nicht abschätzen. Mit einer Rückkehr zur „Normalität“ in diesem Jahr rechnen 16 Prozent, im Jahr 2021 37 Prozent der Unternehmen. Die weiterhin bestehende große Unsicherheit führt allerdings dazu, dass 28 Prozent der Unternehmen noch keine Einschätzung geben können, wann und ob ihre Geschäfte sich wieder „normalisieren“.

Die Industrie hat ein schlimmes zweites Quartal hinter sich. Die Auftragseingänge sind weiter rückläufig. Zur Jahresmitte berichtet mehr als jedes zweite Unternehmen von einem zu geringen Auftragsbestand. Die Wende steht noch aus. Bei knapp zwei Drittel der Unternehmen waren die Umsätze rückläufig. Allein das in Niedersachsen wichtige Ernährungsgewerbe hat erkennbar bessere Umfrageergebnisse.

Für die exportabhängige Industrie zeichnet sich eine Aufhellung ab: Die Exporterwartungen der Industrie haben sich im Saldo der Antworten von minus 66 auf minus 19 verbessert, wobei der langjährige Durchschnitt weit darüber bei plus 17 liegt. Zur Aufhellung beigetragen hat sicherlich, dass Geschäftsreisen und Montagen in Europa wieder ohne Hindernisse möglich sind.

Die Unsicherheit im Baugewerbe dauerte nur kurz. Der Boom der letzten Jahre wird für die Bauwirtschaft zwar nicht so weitergehen wie bisher, eine Krise ist aber bei gut gefüllten Auf­tragsbüchern nicht in Sicht. Zudem haben sich die Auftragseingänge stabilisiert.

Im Einzelhandel berichten die Geschäfte mit den typischen Innenstadtsortimenten wie Bekleidung, Schuhe, Lederwaren, Bücher und Schmuck von einer sehr schwachen Geschäftsentwicklung. Die Geschäfte sind zwar wieder geöffnet, aber es kommen weniger Kunden, die dann nur gezielt kaufen. Die Lust zu Shoppen ist aufgrund der coronabedingten Abstands- und Hygienevorschriften verflogen. Andere Einzelhandelsbereiche wie Lebensmittel, Baumärkte sowie Möbel- und Einrichtungsgegenstände berichten trotz der geltenden Auflagen von über­wiegend zufriedenstellenden Geschäften.

Im Gegensatz zum stationären Handel laufen die Geschäfte des Online-Handels besser denn je. Die Umsatzerwartungen zeigen, dass sich die­se Entwicklungen verfestigen könnten. Jedes fünfte Fachgeschäft sieht sich derzeit aufgrund des Online-Handels in seiner Existenz gefährdet. Der Großhandel erholt sich wie viele andere Branchen vom Corona-Umfragetief aus dem April nur langsam. Immer noch 44 Prozent der Unternehmen (Vq. 76 %; Vj. 15 %) rechnen zur Jahresmitte mit rückläufigen Umsätzen.

Das Verkehrsgewerbe hat tiefgreifende Probleme. Die Güterbeförderung läuft allein schon vom Volumen her noch nicht wieder zufriedenstellend, und die Personenbeförderung ist auf­grund geringer Fahrgastzahlen wirtschaftlich kaum zu erbringen. Zwei Drittel der Unternehmen haben ungünstige Erwartungen, in der Reisewirtschaft ist dieser Anteil noch ungleich höher.

Die Geschäftslage der Banken hat sich deutlich stabilisiert. Das Kreditgeschäft mit Firmen- und Privatkunden war im zweiten Quartal weiterhin expansiv. Allerdings dürfte in den kommenden Monaten die Gefahr für Kreditausfälle steigen. Die Versicherungen mussten im abgelaufenen Quartal erstmals nach langer Zeit ein rückläufiges Neugeschäft verkraften. Die Erwartungen bezüglich Neugeschäft und Beitragseinnahmen deuten jedoch wieder auf das seit Jahren gewohnte Wachstum hin.

Bei den Dienstleistungsunternehmen sind die Geschäftsverläufe zwischen den Branchen sehr unterschiedlich. Während die Bereiche Immobilien, Berater und Ingenieurbüros von einer zufriedenstellenden Entwicklung berichten, haben Werbung, Zeitarbeit und vor allem Veranstalter aktuell kaum Perspektiven.

 

Ausblick

„Bis zur „Normalität“ steht uns noch ein harter Weg bevor. Wir gehen davon aus, dass für 2020 mit einem Rückgang des BIP von gut 8 Prozent gerechnet werden muss. Dies entspricht einem Verlust an Wertschöpfung von knapp 25 Milliarden Euro. Der Aufholprozess wird mühsam und langwierig“, so Dr. Schrage.

„Neben den kurzfristigen Maßnahmen für die Liquiditätssicherung brauchen die Unternehmen vor allem weniger Bürokratie, sei es bei Bauanträgen, Genehmigungen und Dokumentationen“, so die Einschätzung des IHKN-Chefs. „Am allerwenigsten brauchen Unternehmen jetzt ein Lieferkettengesetz, das sie verpflichtet, für soziale Standards im Ausland verantwortlich zu sein.“

Der IHK-Konjunkturklimaindikator im Anhang gibt die Einschätzung der Unternehmen der gegenwärtigen und der erwarteten Geschäftslage wider.

Quelle: Pressemeldung IHK Niedersachsen (IHKN)
– Die Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen –