Metallgeflüster
In Ostfriesland deckt Keno Claassen als Restaurator im Metallbauerhandwerk eine Nische ab. Mit sehr viel Leidenschaft und Akribie ist er der Metallgeschichte auf der Spur. Die Liebe zu alten Handwerkstechniken bewahrt er in seiner Schmiede in Roggenstede für die Nachwelt.
Ostfriesland. Millimeter für Millimeter kratzt Keno Claassen mit einem Glasfaserstift Farbreste und Dreck von einer etwa plakatgroßen Metallplatte ab. Er sitzt in seiner Schmiede Eysenwerk in Roggenstede vor einem Scherentisch. Auf der Platte vor ihm eine Gedenktafel aus Gußeisen mit Vergoldungen aus dem 19. Jahrhundert. Anders als beim letzten Auftrag ist die Esse im Hintergrund kalt. 2.000 Grad heißes Feuer und Muskelkraft am Amboss sind dieses Mal nicht gefordert.
Um das geschichtsträchtige Stück wieder im neuen Glanz erstrahlen zu lassen, bedarf es einer Menge Geduld und Fleißarbeit. Genau sein Ding: „Ich habe mich schon immer für die Geschichte der alten Handwerkstechniken interessiert“, erzählt der Spezialist für Restaurierungen, Gestaltung und Sonderkonstruktionen aus Metall. Schmieden, Treiben (Freiformen von Metall), Gießen und Vergolden: alles Techniken, die er beherrscht und mit dem modernen Berufsbild nichts mehr gemein haben. „Heutzutage werden viele Fertigprodukte eingekauft, abgelenkt, verschweißt, angebohrt und fertig. Früher wurden die Rohmaterialien mit dem Lufthammer ausgeschmiedet, warm vernietet oder feuergeschweißt. Das sind Arbeiten, die macht man heute nicht mehr“, berichtet der 37-Jährige.
Auch unscheinbare Dinge verbergen Botschaften
Altes gegen Neues zu ersetzen, sei in seiner Branche fast schon normal geworden. „Rücksicht auf Geschichtsspuren, die vernichtet werden, wird nicht genommen“, so der Meister. Die Ästhetik stehe meist im Vordergrund. Seine Aufgabe als Restaurator sieht er darin, die originale Substanz alter Gegenstände und die damit verbundenen geistigen Botschaften, die sich oft auch in unscheinbareren Dingen verbergen, zu erhalten.
Die Gedenktafel hat für ihn aber auch ideellen Wert. Die Platte erinnert an einen seiner Vorfahren. Über die Jahrzehnte wurde sie in der Roggensteder Kirche hinter der Orgel versteckt. Sie gedenkt Joh. Focken Claassen, der im Deutsch-Französischen Krieg 1870 gefallen ist. Damals wollte der Pastor die Tafel nicht aufhängen. Vermutlich, weil sie nur einer bessergestellten Person gewidmet war und nicht der anderen Kriegsopfer gedachte. Heute möchte der Kirchenvorstand das Stück für die Nachwelt sichtbar machen.
Über die geschichtlichen Hintergründe hat Keno Claassen noch nicht viel herausgefunden. Nur: Sie stammt von einem Bauernhof in der Nähe. Die damals reichen Eltern wollten ihren gefallenen Sohn ehren, in dem sie die Platte aus Gußeisen im Sandformverfahren anfertigen ließen. „Sie ist sehr hochwertig gearbeitet und muss sehr viel Geld gekostet haben“, sagt Claassen. Damals wäre Grabschmuck in dieser Art beliebt gewesen. Mittlerweile seien die Gießereien ausgestorben. In den Niederlanden seien vielleicht noch einige wenige angesiedelt, schätzt der dreifache Familienvater.
Denkmal für das industrielle Zeitalter bewahrt
Mit seiner Restaurator-Tätigkeit deckt Keno Claassen in Ostfriesland eine Nische ab. Kollegen seien eher in Süddeutschland vertreten, wo es eine prunkvollere Kirchendichte gebe. Auftraggeber kommen von der Denkmalbehörde, Museen, Kirchen und ähnlichen Institutionen. Mit zwölf Mitstreitern hat er die Schulbank in der Akademie des Handwerks Schloss Raesfeld an den Wochenenden gedrückt. Nach zwei Jahren hatte er den Titel 2019 in der Tasche.
Als Prüfungsprojekt versetzte er eine zweiflügelige Toranlage am Glockenturm der Kirche Roggenstede wieder in den Urzustand. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und war extrem marode. Sie besteht aus Schweißeisen, die als vorgeschmiedete Stangenware zugekauft wurden. Bis auf ein paar Zierspitzen ist sie ziemlich unscheinbar. Aber darum geht es nicht. „Das Tor ist sehr einfach und zweckmäßig. Viele wurden weggeworfen. Heute gibt es nur noch sehr wenige. Deshalb ist es als Zeugnis der Industrialisierung auf jeden Fall erhaltungswürdig.“
Werke werden mit einer Schmiedepunze signiert
Über 100 Arbeitsstunden investierte er für das wertvolle Objekt. Um den geschichtlichen Hintergrund zu dokumentieren, forscht er in Bibliotheken und Archiven. Nach der Begutachtung, ob das Stück erhaltenswürdig und -fähig ist, wird jede Handarbeit fotografiert und festgehalten. „Die Geschichte des Metallstücks macht es wertvoll. Sei es noch so unscheinbar“, erzählt der Schweißfachmann. Meist komme dadurch erst die Besonderheit einer Handwerksarbeit vergangener Tage zum Vorschein. Bei dem Tor beispielsweise wurde Puddeleisen verwendet. „Eine unheimlich mühsames und kraftaufwendiges, altes Verfahren. Das Eisen wurde dabei immer wieder per Hand umgerührt.“ Die fehlenden Zierspitzen hat er im Sandgussverfahren in Bronze gegossen. Dafür benötigt es ein spezielles Wissen, was nicht mehr in der Berufsausbildung vermittelt wird. Neue Elemente wurden ans Tor angebracht, neue Verzierungen geschmiedet und unter anderem die alte Farbe aus Bleiminge erneuert. Wegen der Gesundheitsgefahr dürfen diese Farben nur noch von einem Restaurator verwenden werden. Am Ende signiert es seine Werke mit einer Schmiedepunze, die er versteckt anbringt. Sie stellt mit ineinandergreifenden Kreisen die vier Elemente dar, „die jeder Schmied beherrschen muss“.
In seinem bisherigen Berufsleben als Metallbauermeister und internationaler Schweißfachmann standen vor allem Neukonstruktionen in der Betriebsschlosserei von Enercon Mechanic Anlagenbau in Aurich an. Später bildete er junge Menschen als Werkstatt- und Ausbildungsleiter bei dem Windenergieanlagenhersteller aus. Heute ist er im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer für Ostfriesland in Aurich als Lehrwerksmeister in der Metallwerkstatt tätig. Dort unterrichtet er Meisterschüler und Auszubildende in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung in den Berufen des Feinwerkmechanikers und Metallbauers. Ambosse, Lufthammer und Essen sind hier nicht zu finden. „Aber vielleicht biete ich mal einen Exkurs in die alte Handwerkswelt an. Das wäre doch was“, meint er.
Pressemitteilung von: Handwerkskammer für Ostfriesland