Die Hütte brennt – der Einzelhandel steht in Flammen! – Politik und Händler Auge in Auge beim virtuellen 2. IHKN Handelsdialog
Handel und Geschäftsstandorte brauchen mittel- und langfristige Unterstützungsstrategien für wirtschaftliches Handeln unter Corona-Bedingungen
„Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie werden Handel und Geschäftsstandorte voraussichtlich noch längere Zeit beeinträchtigen und die Nachteile des stationären gegenüber dem reinen Onlinehandel weiter verstärken. Daher benötigen sie mittel- und langfristige Perspektiven und vor allen Dingen Planungssicherheit. Das haben sieben niedersächsische Vertreter aus der Handelsbranche beim zweiten IHKN-Handelsdialog deutlich formuliert“, fasst IHKN-Hauptgeschäftsführer Hendrik Schmitt das Kernergebnis dieser Veranstaltung zusammen.
Der Lockdown hätte nicht nur finanzielle Einbußen gebracht, so die Teilnehmer des Dialogs. Bei vielen Händlern sind die Lager übervoll, denn die Kundenfrequenz ist noch nicht auf Vor-Corona-Niveau. Verkaufsoffene Sonntage könnten, so die Händler, die nötigen Kaufanreize bieten. Dazu müsste – zeitlich befristet – mindestens der Anlassbezug ausgesetzt werden.
In die gleiche Kerbe schlägt der niedersächsische Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 30.6.2020 mit seinem Vorschlag, vier verkaufsoffene Sonntage – ohne Anlassbezug – in der Zeit von August bis November 2020 zu ermöglichen und spricht damit auch ein wichtiges Anliegen der niedersächsischen IHKs an.
Die Teilnehmer der Videokonferenz unterstützen den Vorschlag Althusmanns im Gespräch ausdrücklich und bitten die niedersächsische Landesregierung mindestens um die anlasslose Durchführung von Sonntagsöffnungen und eigentlich sogar um eine befristete Änderung des Niedersächsischen Ladenöffnungszeitengesetzes. Dies vor allem im Hinblick auf die Zulässigkeit von Adventssonntagen sowie dem 27. Dezember, der in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt – nach dem niedersächsischen Ladenöffnungszeitengesetz aus dem Jahr 2019 jedoch einem Öffnungsverbot unterliegt.
Ziel müsse sein, so viele Arbeitsplätze im Einzelhandel wie möglich zu retten. Dafür sei es unbedingt notwendig, dass bis Weihnachten die Geschäfte sonntags öffnen dürfen, so die einhellige Forderung der teilnehmen Händler.
„Die Händlerinnen und Händler haben eindrucksvoll die Dramatik der Lage in vielen Branchen des Einzelhandels geschildert“, sagt Claudia Simon, Abteilungsleiterin Mittelstand im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium.
„Auch nach Ende der Corona-bedingten Schließung vieler Geschäfte ist die Konsumstimmung noch nicht zurückgekehrt. Kunden- und Umsatzzahlen bewegen sich sehr deutlich unter dem Niveau früherer Jahre. Dies bedroht insbesondere viele Geschäfte in Innenstädten und gefährdet viele Arbeitsplätze im Handel. Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums müssen in dieser Situation rechtssichere Möglichkeiten gefunden werden, um Sonntagsöffnungen in der zweiten Jahreshälfte planbar durchzuführen. Dies ist im Interesse der Beschäftigten, der Kommunen und des stationären Einzelhandels.“
Stefan Pemp, Vertreter des Sozialministeriums betont: „Der Wunsch nach Zulassung von Sonntagsöffnungen des Einzelhandels ist nachvollziehbar. Das Sozialministerium prüft zurzeit gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium die Möglichkeiten. Es sollten jedoch keine zu hohen Erwartungen entstehen. Vor allem die Bestimmungen des Grundgesetzes zum Sonn- und Feiertagsschutz müssen eingehalten werden. Zudem werden die Gerichte bei entsprechendem Rechtsschutzinteresse Beteiligter die Zulassungen überprüfen. Auch muss noch einmal betont werden: Am Grundgesetz und an gerichtlichen Überprüfungen kann die Landespolitik nichts ändern. Letztlich kann der Erfolg nur im Konsens aller Beteiligten erzielt werden.“
Damit der Einzelhandel mit und nach Corona erfolgreich durchstarten kann, sei in den nächsten Monaten zudem der Fokus auf eine Gesamtstrategie der (Innen-)Stadtentwicklung wichtig. Dies könnte beginnen mit der Berücksichtigung von Digitalisierungsstrategien in den Kommunen durch den Einsatz eines „Digitallotsen“ oder eines „Innenstadt-Kümmerers“ sowie einer guten Umsetzung des niedersächsischen Quartiersgesetzes, das nach der Sommerpause verabschiedet werden soll. In dem Zusammenhang begrüßten die Teilnehmer des Handelsdialogs die Aussage von Staatssekretär Doods, dass die ursprünglich nur für das Jahr 2020 beschlossene Anschubfinanzierung für zukünftige Business Improvement Districts in Niedersachsen auch für den Haushalt für 2021 vorgesehen werden soll.
Aktuell beschäftigt auch die Umsetzung der Mehrwertsteuersenkung durch die Bundesregierung die niedersächsischen Unternehmer. Die aktuelle Bundesverordnung ließe viele Fragen offen, da es an praxistauglichen Handlungsanweisungen fehle – das war die übereinstimmende Meinung der Dialogteilnehmer. Sie wünschten sich zur Unterstützung bei der Umsetzung beispielsweise eine Checkliste der abzuarbeitenden Punkte oder eine Expertenhotline bei den Finanzverwaltungen zur Klärung akuter Fragen.
Ernst Hüdepohl, Steuerabteilungsleiter im Niedersächsischen Finanzministerium, bestätigt, dass die praktischen Umsetzungsherausforderungen für die Wirtschaft beachtlich sind. Auch die Steuerverwaltung sei von den politischen Entscheidungen überrascht worden, habe jedoch schnell reagiert: „Innerhalb weniger Tage hat die Steuerverwaltung Entwürfe der gesetzesauslegenden Verwaltungsanweisungen erstellt und die Möglichkeit eingeräumt, dass Hunderte von Seiten mit Umsetzungsideen und Interpretations- und Vereinfachungsvorschlägen der Wirtschaft und aus den unterschiedlichsten Lobbygruppen bei ihr eingegangen sind, die sie berücksichtigen konnte. Sodann wurde daraus zwischen dem Bund und allen 16 Ländern in wenigen Tagen der Text eines für alle Finanzämter bundesweit verbindlichen BMF-Schreibens erstellt und wiederum ins Netz gestellt, so dass sich alle Beteiligten noch vor dem Gesetzesbeschluss des Bundestages bereits darauf einstellen konnten. Erste Anzeichen sind erkennbar, dass der mit der Umsatzsteuer-Absenkung beabsichtigte Konjunktur-Stimulus gelingen könnte. Zum Jahresende hin werden wir es wissen.“
„Die Hütte brennt“, so Holger Bartsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Stade und Moderator des Dialogs in seinem abschließenden Statement. „Jetzt ist die Politik gefordert, damit es im Handel nicht zu einem Flächenbrand kommt. Wenn die Politik nicht kurzfristig eingreift, stehen tausende Arbeitsplätze, die Zukunft von vielen hart arbeitenden Menschen in Niedersachsens Unternehmen und die Aufrechterhaltung unserer Innenstädte auf dem Spiel. So weit dürfe es nicht kommen, so der eindringliche Appell der Teilnehmer des IHKN-Handelsdialogs an die Vertreter der niedersächsischen Ministerien.
Quelle: Pressemeldung IHK Niedersachsen (IHKN)
– Die Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen –