IHK-Konjunkturumfrage für Niedersachsen

IHK-Konjunkturumfrage für Niedersachsen

IHK-Konjunkturumfrage für Niedersachsen

Existenzgefährdender Absturz in vielen Branchen

Der Absturz in weiten Teilen der Wirtschaft innerhalb nur weniger Wochen war bis
vor Kurzem unvorstellbar. Das Coronavirus sorgt für eine katastrophale Geschäftslage der niedersächsischen Wirtschaft: Handel und Gastgewerbe mussten überwiegend schließen, auch viele Dienstleister haben aktuell kein Geschäft mehr.

Der Export ist eingebrochen. Die Kurzarbeit ist in kürzester Zeit explodiert. Vor allem die ungewissen Geschäftsaussichten der Unternehmen lassen den IHK-Konjunkturklimaindikator für das erste Quartal 2020 auf 48 Punkte (Vorquartal: 102 Pkt.) kollabieren. Das ist das Ergebnis der Konjunkturumfrage von niedersächsischen Industrie- und Handelskammern mit über 1.500 Unternehmensantworten.

„Täglich wenden sich Tausende verzweifelte Unterneh­men mit Hilferufen an die Industrie- und Handelskammern. Die Lage in vielen Branchen ist alarmierend“, so Dr. Horst Schrage, Hauptgeschäftsführer der IHK Niedersachsen.

Die Wirtschaftslage in Niedersachsen ist mehr denn je branchenabhängig. Während einzelne Industriezweige wie die Ernährungswirtschaft oder die Bauindustrie mit dem ersten Quartal mehrheitlich noch zufrieden waren, berichten Handel, das Gastgewerbe wie auch die perso­nenorientierten Dienstleister sowie weite Teile der Industrie überwiegend von einer katastro­phalen Lage.

Nach zehn „normalen“ Wochen zum Jahresbeginn ist die Dramatik der letzten zwei Märzwochen mit einer durch die Corona-Pandemie bedingten behördlich angeordneten Schließung vieler Betriebe kaum zu überbieten. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Die aktu­elle Geschäftslage wird von 16 Prozent (Vorquartal: 31 %) der Unternehmen als gut beurteilt, 42 Prozent (Vorq. 57 %) sind zufrieden und 42 Prozent (Vorq. 13 %) beurteilen ihre Lage be­reits als schlecht.

Die Erwartungen an die kommenden Monate spiegeln die trüben Aussichten in vielen Branchen wider, die bisher noch einen zufriedenstellenden Auftragsbestand hatten: Lediglich 6 Prozent der Unternehmen (Vorq. 14 %) rechnen mit einer günstigeren Geschäfts­entwicklung und 76 Prozent (Vorq. 25 %) erwarten mit eine negative Entwicklung. Insbeson­dere der Export steht in Anbetracht der weltweit eingebrochenen Wirtschaftsentwicklung vor einer unkalkulierbaren Entwicklung.

Jedes zweite Unternehmen rechnet mit einem Umsatzrückgang im Jahr 2020 von mehr als zehn Prozent, 29 Prozent der Unternehmen können den Rückgang noch nicht abschätzen. Liquiditätsengpässe gab es Anfang April bei acht Prozent der Betriebe, ein weiteres Drittel erwartet, im Laufe des Mai in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen.

Kurzarbeitergeld und Steuererleichterungen stehen für die Unternehmen ganz oben auf der Liste der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen. Zuschüsse sind vor allem bei kleineren Betrieben im Handel und bei Dienstleistern gefragt. Jeder fünfte Betrieb benötigt Kredite zur Überbrückung, jeder dritte hält ein Konjunkturprogramm für notwendig.

Bis Mitte April sind in Niedersachsen knapp 100.000 Zuschussanträge mittelständischer Unternehmen bewilligt worden sowie ca. 6.500 Kreditanträge zur Liquiditätssicherung beantragt.

Die Geschäftsentwicklung in der Industrie ist differenzierter denn je. Die Hersteller von Ver­brauchsgütern wie Lebensmittel, die chemische Industrie sowie die Bauzulieferer sind mit ihrem Warenangebot gut im Geschäft, da sie von der Schließung des Einzelhandels kaum betroffen waren. Eine Vielzahl der Vorleistungsgüterproduzenten wie auch die Investitions­güterhersteller, die gleichermaßen auf ein funktionierendes Auslandsgeschäft angewiesen sind, müssen derzeit feststellen, dass ihre Lieferketten brüchig sind.

Zulieferteile fehlen, fertige Pro­dukte können nicht ausgeliefert werden oder ein Inbetriebnahme beim Kunden im Ausland scheitert an Einreisebestimmungen: Es gibt zahlreiche Faktoren, die ein normales Geschäft derzeit bremsen und auf absehbare Zeit verhindern.

Besonders betroffen ist der Bereich Automotive mit der Kfz-Industrie und den Zulieferern. Der Strukturwandel hin zur Elektromobilität sorgt jetzt in Verbindung mit der zwischenzeitlichen Schlie­ßung der Autohäuser aktuell für Kurzarbeit in vielen Betrieben. Auch das Auslands­geschäft steht in Anbetracht einer weltweiten Rezession vor einer extrem schwierigen Phase.

Gleichzeitig stehen Strafzahlungen an die EU im Raum, die den Unternehmen weitere Liquidi­tät entziehen würden. Hier drohen dauerhafte Schäden und gravierende Strukturbrüche.

Die Boom-Branche der letzten Jahre, die Bauwirtschaft, hat weiter alle Hände voll zu tun. Der Wohnungsbau bleibt expansiv, aber zumindest im Bereich Gewerbebauten ist mit nachlassen­der Dynamik zu rechnen.

Im Einzelhandel haben die Geschäfte mit den typischen Innenstadtsortimenten wie Beklei­dung, Schuhe, Lederwaren, Bücher und Schmuck zwar wieder geöffnet, aufgrund der bekann­ten Einschränkungen überwiegt bei den Händler jedoch Skepsis hinsichtlich des zu erwarten­den Kundenaufkommens und der Ertragskraft ihrer Unternehmen.

Die Bereiche Lebensmittel, Drogerie und Apotheken waren mit ihren Gütern des täglichen Bedarfs nicht von der Schlie­ßung betroffen. Besonders kritisch ist hingegen die Lage der immer noch nur eingeschränkt geöffneten Möbelhäuser. Die Autohäuser hatten schon vor der Corona-Pandemie mit stocken­dem Absatz zu kämpfen: Die potentiellen Autokäufer sind verunsichert, und eine Rezession mit nachlas­sender Kaufkraft wird den Verkauf weiter bremsen.

Der Großhandel war von den Schließun­gen zwar nicht direkt betroffen, aber drei Viertel der Unternehmen rechnen mit rück­läufigen Umsätzen.

Das Verkehrsgewerbe ist von der Pandemie besonders schwer getroffen. Die Personenbeför­derung (Bustouristik, Taxen etc.) ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Der Güterverkehr musste deutlich heruntergefahren werden. Überkapazitäten und ein starker Druck auf die Be­förderungspreise kennzeichnen die Entwicklung und es wird mit wachsenden Risiken gerech­net.

Die Geschäftslage der Banken hat sich ebenfalls merklich abgeschwächt. Das Kreditgeschäft mit Firmen- und Privatkunden war im ersten Quartal zwar weiterhin expansiv, die Aussichten sind, wie auch bei den Versicherungen, aufgrund der Rezession aber ungewiss.

Die Dienstleistungsunternehmen sind vom Shutdown gleichermaßen betroffen. Die Perspek­tiven sind vor allem für die personenbezogenen Dienste ungünstig.

 

Ausblick

Die Komplexität der Produktionsprozesse und Lieferketten macht ein schnelles Hochfahren der Industrie unwahrscheinlich. Die beschränkten Möglichkeiten im Exportgeschäft in Verbindung mit der weltweiten Rezession und tendenziell zurückhaltende Verbraucher lassen nur eine all­mähliche Normalisierung erwarten.

Zwischenzeitliche Lockerungen des Lockdowns in einzel­nen Branchen zeigen nur langsam Wirkung, andere Branchen wie der Tourismus sind weiterhin still gelegt.
„Wir halten die bisher vorgelegten Schätzungen zur Wachstumsrate für deutlich zu optimistisch. Unter Einbeziehung unserer Umfrageergebnisse und der spezifischen niedersächsischen Wertschöpfungsstruktur rechnen wir zum jetzigen Zeitpunkt mit einem noch nie dagewesenen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von bis zu acht Prozent“, so Dr. Schrage.

Knapp 62.000 Unternehmen in Niedersachsen haben zwar Kurzarbeit für über 800.000 Mitar­beiter angezeigt, Entlassungen hat es bisher aber nur vereinzelt gegeben. „Die Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter halten und hoffen, dass sich die Geschäftslage wieder verbessert. Für viele Unternehmen werden aber auch zum Jahresende normale Geschäftsentwicklungen noch nicht wieder erreichbar sein“, so die Einschätzung des IHKN-Chefs.

Der IHK-Konjunkturklimaindikator gibt die Einschätzung der Unternehmen der gegenwärtigen und der erwarteten Geschäftslage wider.

Quelle: Pressemeldung IHK Niedersachsen (IHKN)
– Die Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen –