Urteilsverkündung im Strafverfahren gegen Verantwortliche der Steinhoff Gruppe

Urteilsverkündung im Strafverfahren gegen Verantwortliche der Steinhoff Gruppe

Urteilsverkündung im Strafverfahren gegen Verantwortliche der Steinhoff Gruppe

I. Urteilstenor 2 KLs 97/20

Im Verfahren gegen zwei ehemalige Geschäftsführer von Gesellschaften der Steinhoff Gruppe hat das Landgericht Oldenburg am 21.08.2023 ein Urteil verkündet.
Das Landgericht Oldenburg hat den Angeklagten Schr. unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Oldenburg vom 29.10.2019 (Az.: 25 Ls 940 Js 7341/18 (1/19)) wegen unrichtiger Darstellung in Bilanzen gemäß § 331 HGB in zwei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Kreditbetrug in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Hiervon gilt ein Jahr wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt.
Der Angeklagte Schm. wurde wegen Beihilfe zur unrichtigen Darstellung in Bilanzen gemäß § 331 HGB in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hiervon gilt ein Jahr wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und dem Angeklagten Schm. wurde auferlegt, einen Betrag von 72.000 € in monatlichen Raten von je 2.000 € zu zahlen.
Mit Blick auf die angeklagten Taten zu Ziffer 1. bis 3. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 30.12.2022 (Az. 940 Js 53425/15) wurde das Verfahren wegen des Vorliegens des Verfahrenshindernisses der Verjährung eingestellt. Hinsichtlich des Inhalts der Anklagevorwürfe wird auf die hiesige Pressemitteilung vom 03.05.2023 verwiesen.

II. Festgestellte Taten

Das Landgericht Oldenburg konnte den Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 30.12.2022 (Az. 940 Js 53425/15) und 22.06.2022 (Az. 940 Js 59616/18) entsprechend folgende Feststellungen treffen:
Durch schwer nachvollziehbare Scheingeschäfte mit einem schwer überschaubaren Geflecht von Gesellschaften sowie durch die überhöhte Bewertung von Anlagevermögen haben die Angeklagten in Bilanzen im europäischen Teil des Steinhoff-Konzerns auflaufende Verluste verschiedener Tochtergesellschaften verschleiert und darüber hinaus vermeintliche Gewinne für den Gesamtkonzern realisiert.
Der 64-jährige Angeklagte Schm. war bis zum 06.10.2011 Geschäftsführer der „Steinhoff Europe Group Services GmbH“ (SEGS) sowie bis zum 19.10.2011 Geschäftsführer der Tochterfirma „Tau Enterprises GmbH“.
Der 52-jährige Angeklagte Schr. war seit dem 06.10.2011 Geschäftsführer der „Steinhoff Europe Group Services GmbH“ sowie seit dem 19.10.2011 bei deren Tochterfirma, „Tau Enterprises GmbH“ und seit dem 29.03.2012 bei der weiteren Tochterfirma „Omega Enterprises GmbH“.
Um das für das Gesamtergebnis des Konzerns gewünschte bilanzielle Ergebnis zu erzielen, entstand im Wirtschaftsjahr 2010/2011 der Plan, vermeintliche Gewinne über den An- und Verkauf von inaktiven Gesellschaften zu generieren. Für den Erwerb und den Verkauf der Gesellschaftsanteile an den inaktiven Gesellschaften fungierten zwei Tochtergesellschaften der SEGS – die Tau Enterprises GmbH und die Omega Enterprises GmbH. Die inaktiven Gesellschaften als Kaufobjekte stellte ein gesondert verfolgter Treuhänder zur Verfügung.

1.
Im Wirtschaftsjahr 2011/2012 kam es zu folgenden An- und Verkäufen der inaktiven Gesellschaft „Top Retail Investment(s) AG“, deren alleiniger Vorstand der Angeklagte Schm. war:
Mit schriftlichen Kaufvertrag vom 01.04.2012 wurde von der TOP Global Investment GmbH die „Top Retail Investment(s) AG“ zu 5 % an die Tau Enterprises GmbH und zu 95 % an die Omega Enterprises GmbH verkauft. Als Kaufpreis wurden 5.000 EUR für die Tau Enterprises GmbH und 95.000 EUR für die Omega Enterprises GmbH vereinbart, welcher zum 10.06.2012 fällig sein sollte. Dies entsprach einem Aktiennennwert von 100 EUR je Aktie. Die Verkäuferin wurde hierbei vom Angeklagten Schm. und die Käuferinnen jeweils von dem Angeklagten Schr. vertreten. Bei der Verkäuferin handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der Talgarth Capital Ltd.. Die Firma „Top Retail Investment(s) AG“ wurde sodann in die „AMB Investment Holding AG“ umfirmiert.

Mit getrennten Anteilskaufverträgen vom 29.06.2012 wurden die jeweiligen Anteile an der inaktiven „AMB Investment Holding AG“ von der Tau Enterprises GmbH und der Omega Enterprises GmbH jeweils an die Talgarth Captial Ltd. verkauft zu vereinbarten Kaufpreisen von 16.250.000 EUR (Tau Enterprises GmbH) und 308.750.000 EUR (Omega Enterprises GmbH), mithin zu einem Preis von 325.000 EUR pro Aktie. Der Verkauf wurde durch die Angeklagten sowie den gesondert verfolgten Treuhänder abgewickelt.
Im Wirtschaftsjahr 2012/2013 wurde der fiktive Verkaufspreis dieser wirtschaftlich inaktiven Firma nachträglich noch einmal erhöht. In Nachträgen zu den ursprünglichen Anteilskaufverträgen jeweils vom 17.07.2013 wurde der vereinbarte Kaufpreis um 17.500.000 EUR zugunsten der Tau Enterprises GmbH und in Höhe von 332.500.000 EUR zugunsten der Omega Enterprises GmbH erhöht, sodass ein Gesamtkaufpreis von 675.000 EUR pro Aktie, mithin 675.000.000 EUR insgesamt vorlag. Die Nachträge hatten erneut die Angeklagten sowie der gesondert verfolgte Treuhänder unterzeichnet.
Hierdurch wies der Angeklagte Schr. im Jahresabschluss der Omega Enterprises GmbH zum 30.06.2013 Forderung aus dem Verkauf der Anteile der wirtschaftlich inaktiven Firma unter „Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände“ unter „sonstige Vermögensgegenstände“ in Höhe von 332.500.000 EUR sowie in der GuV als vermeintlich ordnungsgemäß erzielte „sonstige betriebliche Erträge“ in Höhe von 329.763.691,36 EUR aus.
Ohne dieses Scheingeschäft und sonstige Scheingeschäfte hätte für die Omega Enterprises GmbH zum 30.06.2013 anstelle eines Jahresüberschusses ein Jahresfehlbetrag von mehr als einer Milliarde EUR ausgewiesen werden müssen.
Um einer etwaigen notwendigen Wertberichtigung der in der Bilanz verbuchten „Forderung aus Verkauf Beteiligung AMB“ gegen die Talgarth Capital Ltd. vorzubeugen, gab die Steinhoff Finance Holding GmbH (SFHG) im Jahr 2014 rückwirkend eine auf den 04.06.2013 mit „letter of comfort“ überschriebene Garantieerklärung zu Gunsten der Omega Enterprises GmbH für die Forderungen der außerhalb des Konzerns stehende Talgarth Capital Ltd. ab. Der Jahresabschluss hatte Auswirkungen auf die Konzernbilanzen.

2.
Die Steinhoff Gruppe strebte in der Folge an, den österreichischen Möbelkonzern Kika/Leiner über die Talgarth Capital Ltd. zu erwerben. Hierfür wurde mit der Talgarth Capital Ltd. eine Vereinbarung getroffen, wonach die Tau Enterprises GmbH als Tochtergesellschaft der SEGS an die Talgarth Capital Ltd. Anzahlungen in Höhe von 720.061.000 EUR leisten sollte. Diese Anzahlungen wurden in der Folge in der GuV und Bilanz der Tau Enterprises GmbH als geleistet verbucht, sodass die Tau Enterprises GmbH in den Bilanzen vom 30.06.2012 und 30.06.2013 unter der Position „geleistete Anzahlungen auf Sachanlagen“ den vereinbarten Anzahlungswert verbuchte. Die angeblichen Anzahlungen wurden mit vermeintlichen Forderungen aus vorangegangenen Scheingeschäften verrechnet.

Anstelle der Steinhoff Gruppe bzw. der Talgarth Capital Ltd. für die Steinhoff Gruppe erwarb der Angeklagte Schm. mit seinen Gesellschaften Top Global Investment Alpha GmbH und Top Global Investment Beta GmbH den österreichischen Möbelkonzern Kika/Leiner zu einem Kaufpreis von knapp 470 Mio. EUR. Die Firmen des Angeklagten Schm. wurden in die Genesis Investment Alpha GmbH und Genesis Investment Beta GmbH umbenannt.

Das Immobilienvermögen sollte sodann nach Aufspaltung Kika/Leiners in Handels- und Immobiliengesellschaft (das Immobilienvermögen wurde in den Immobiliengesellschaften LKM Beteiligungsgesellschaft mbH und Leiner Immobilien GmbH gebündelt) an die Tau Enterprises GmbH weiterverkauft werden. Mit dem Erwerb sollten die nicht werthaltigen Forderungen gegen die Talgarth Capital Ltd. in werthaltige andere Vermögenswerte getauscht werden. Hierfür wurde Folgendes vereinbart:
Mit notariellen Abtretungs- und Kaufverträgen vom 30.06.2014 erwarb die Tau Enterprises GmbH von der Genesis Investments Alpha GmbH jeweils 99 % der Anteile an den Immobiliengesellschaften LKM Beteiligungsgesellschaft mbH und Leiner Immobilien GmbH zu einem Kaufpreis von 271.206.000 EUR und 181.211.000 EUR.

In einer weiteren Vereinbarung vom 30.06.2014 zwischen der Tau Enterprises GmbH als Käuferin, der Talgarth Capital Ltd. als Verkäuferin zu 1.) und der Genesis Investments Alpha GmbH als Verkäuferin zu 2.) wurde bezugnehmend auf einen angeblichen Kaufvertrag zwischen der Tau Enterprises GmbH und der Talgarth Capital Ltd. über das Immobilienvermögen der Kika/Leiners Gruppe vom 17.06.2011 sowie angeblich von der Tau Enterprises GmbH hierauf bereits geleisteter Anzahlungen in Höhe von 720.061.000 EUR (457.561.000 EUR und 243.500.000 EUR) vereinbart, dass die angeblich geleisteten Anzahlungen auf den Kaufpreis zwischen der Tau Enterprises GmbH und der Verkäuferin zu 2.) angerechnet werden sollen. Die Gesellschaften wurden bei diesem Vertrag durch die Angeklagten sowie den gesondert verfolgten Treuhänder vertreten.

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Die geleisteten Anzahlungen wurden in der Folge jedoch nicht in Abzug gebracht vom zu zahlenden Kaufpreis an die Genesis Investment Alpha GmbH, sondern wurden dem Kaufpreis und damit dem Wert der erworbenen Gesellschaften hinzugerechnet. In der Bilanz der Tau Enterprises GmbH wurden die „geleistete Anzahlungen an Sachanlagen“ in „Anteile an verbundenen Unternehmen“ umgebucht. Zusätzlich wurde noch eine angebliche Provisionszahlung der Talgarth Capital Ltd. für die Vermittlung des Immobiliengeschäfts in Höhe von 100.000.000 EUR zu Unrecht auf den Kaufpreis aufgeschlagen und entsprechend eine erhöhte Bewertung der Anschaffungskosten der Immobiliengesellschaften vorgenommen. Diese wurde als „Beteiligung LKM & Leiner“ verbucht. Hierdurch kam es zu einem nicht berechtigten Aktivtausch in Höhe von 820.061.000 EUR.

In der Bilanz zum 30.06.2014 wurde dann anstelle des tatsächlichen Kaufpreises von 452.417.000 EUR unter der Position „Anteile an verbundenen Unternehmen“ ein Wert von 1.272.478.000 EUR ausgewiesen, der sich aus dem Kaufpreis, der angerechneten angeblich geleisteten Anzahlung an Talgarth Capital Ltd. sowie der vermeintlichen Provisionszahlung zusammensetzte. Somit wurden 820.061.000 EUR zu viel für die Beteiligung an den Immobiliengesellschaften ausgewiesen.
Der Jahresabschluss der Tau Enterprises GmbH hatte Auswirkungen auf die Konzernbilanzen.

3.
Der Angeklagte Schr. hat als Geschäftsführer von Gesellschaften aus dem Steinhoff-Konzern bei der Beantragung von Krediten Beihilfe zu bewusst wahrheitswidrigen Angaben gegenüber den Kreditinstituten geleistet.
Die fehlerhaften Buchungen (entsprechend der festgestellten Taten 1. und 2.) hatten bilanzielle Auswirkungen auf die bei den Banken vorgelegten Jahresabschlüsse. Ein führender Mitarbeiter des Steinhoff-Konzerns hat unter Vorlage eines insoweit unrichtigen Jahressabschlusses mit Banken zwei Kreditverträge, einmal am 08.12.2015 über 680.000.000 EUR und einmal am 03.08.2016 über 250.000.000 EUR, abgeschlossen. Den Jahresabschluss hat der Angeklagte Schr. dem Mitarbeiter des Steinhoff-Konzerns in dem Wissen zur Verfügung gestellt, dass dieser für die Beantragung der beiden Kredite verwendet werden soll. Der Kredit über 680.000.000 EUR wurde antragsgemäß ausgezahlt. Der zweite Kredit wurde revolvierend in Höhe von 200.000.000 EUR in Anspruch genommen.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 22.06.2022 (Az. 940 Js 59616/18) hatte dem Angeklagten Schr. eine täterschaftliche Begehung von zwei Kreditbetrugstaten vorgeworfen. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten Schr. lediglich insgesamt als eine Beihilfe bewertet.

Pressemeldung von  Landgericht Oldenburg