
Die niedersächsische Landesregierung arbeitet derzeit mit Nachdruck an der umfassendsten Reform des Landesjagdgesetzes seit Jahrzehnten. Diese Gesetzesinitiative, die aus einem breiten Dialogprozess zwischen Politik, Jägerschaft, Naturschutzverbänden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen hervorgegangen ist, zielt auf eine tiefgreifende Modernisierung der jagdrechtlichen Vorschriften. Dabei soll nicht nur die Jagdpraxis an aktuelle ökologische, ethische und tierschutzrechtliche Standards angepasst werden – auch angrenzende Rechtsbereiche wie das Waffenrecht sowie Fragen der jagdlichen Ausbildung und Verantwortlichkeit werden neu geregelt oder zumindest berührt.
Im Zentrum steht ein 2025 veröffentlichtes Eckpunktepapier des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dieses Papier fasst die geplanten Änderungen zusammen und dient als Grundlage für den Gesetzentwurf, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet und in den kommenden Monaten im Landtag beraten werden soll.
Stärkung der Waidgerechtigkeit und tierschutzkonforme Jagdpraxis
Die grundlegendste Leitlinie der Novelle ist die explizite Stärkung der Waidgerechtigkeit – einem seit jeher zentralen ethischen Prinzip der Jagd, das die Achtung vor dem Wild, das Verbot unnötigen Leidens und die Verantwortung des Jägers gegenüber Natur und Gesellschaft umfasst. Diese Waidgerechtigkeit soll künftig nicht nur als unbestimmter Rechtsbegriff existieren, sondern durch präzisierte gesetzliche Regelungen konkretisiert und inhaltlich unterfüttert werden.
Hierzu zählt etwa das geplante Verbot von Totschlagfallen. Diese mechanischen Fanggeräte, die bei falscher Handhabung oder technischer Störung auch geschützte Arten oder Haustiere töten können, werden – mit Ausnahme zur Fangjagd auf Steinmarder in befriedeten Bezirken – vollständig aus dem Jagdalltag verbannt. Stattdessen sollen nur noch Lebendfallen eingesetzt werden dürfen, die mit digitalen Meldeeinrichtungen versehen sind. Diese sollen künftig sogar durch öffentliche Haushaltsmittel gefördert werden. Eine zunächst diskutierte Registrierungspflicht für jeden einzelnen Fallenstandort wurde allerdings wieder verworfen.
Auch die Baujagd erfährt eine Neuausrichtung. Die bislang gängige Praxis, Jagdhunde in natürliche Fuchs- oder Dachsbauten einfahren zu lassen – die sogenannte Jagd im Naturerdbau – wird als zu riskant eingestuft und künftig verboten. Insbesondere die Gefahr für die Hunde, bei der Jagd verschüttet oder durch Dachs oder Fuchs verletzt zu werden, hat zu dieser Entscheidung geführt. Außerdem zerstört das Aufgraben dieser Bauten oft sensible Lebensräume. Die Baujagd bleibt aber im Kunstbau sowie mit Lebendfallen im Eingangsbereich weiterhin erlaubt.
Neue Regelungen für den Umgang mit Haustieren im Jagdrevier
Ein weiterer stark diskutierter Bereich betrifft die jagdliche Befugnis gegenüber Haustieren, insbesondere wildernden Hunden und Katzen. Diese Thematik ist emotional aufgeladen und juristisch sensibel. Die Gesetzesreform sieht hier eine klare Wende vor: Der Abschuss von Hunden wird vollständig untersagt. Künftig dürfen wildernde Hunde ausschließlich eingefangen werden – ein deutlicher Paradigmenwechsel, der den Tierschutz in den Vordergrund rückt. Gleichzeitig sollen Tierhalter stärker in die Pflicht genommen werden, etwa durch behördliche Auflagen, wenn ihre Tiere wiederholt wildern.
Auch bei Katzen verschärft sich die Rechtslage: Künftig darf eine Katze nur dann geschossen werden, wenn sie sich mindestens 350 Meter von der nächsten bewohnten Gebäudeeinheit entfernt aufhält (bisher: 300 Meter) und als „erkennbar verwildert“ gilt. Der Abschuss klassischer Hauskatzen ist somit rechtlich ausgeschlossen. Diese Regelung versucht, den Schutz von Arten wie Feldlerche, Rebhuhn oder Kiebitz mit dem Haustierschutz in Einklang zu bringen – ein Kompromiss, der in der Praxis jedoch weiterhin Konfliktpotenzial birgt.
Jagdhundeausbildung, Schliefenanlagen und die „Müller-Ente“
Besondere Aufmerksamkeit erfährt im neuen Gesetz die Ausbildung von Jagdhunden. Diese soll künftig systematischer und tierschutzgerechter geregelt werden. Bei Bewegungsjagden, der Wasser- und Federwildjagd sowie bei Nachsuchen sollen künftig ausreichend viele, tierschutzgerecht geprüfte Hunde eingesetzt werden – eine Neuerung, die auf eine Verbesserung der Jagdpraxis abzielt, aber Fragen nach Personal und Ausbildungskapazitäten aufwirft. Zugleich wird klargestellt, dass außer zur Nachsuche nur geprüfte oder sich in Ausbildung befindende Hunde eingesetzt werden dürfen.
In den Fokus geraten auch die sogenannten Schliefenanlagen, in denen Hunde auf die Baujagd vorbereitet werden. Der Einsatz lebender Füchse ist hierbei besonders umstritten. Niedersachsen prüft nun eine Umstellung auf Attrappen („Ever Fox“), wie sie etwa in Dänemark verwendet werden. Eine Delegationsreise soll Klarheit bringen, ob eine solche Umstellung auch hierzulande praktikabel ist.
Auch die Ausbildung an der sogenannten „Müller-Ente“, bei der eine Ente durch eine Papiermanschette kurzzeitig flugunfähig gemacht wird, bleibt bis auf Weiteres erlaubt. Allerdings wird ein Forschungsprojekt aufgesetzt, um alternative, tierschonendere Ausbildungsformen zu entwickeln. Die Zahl der eingesetzten Enten wird begrenzt, und die bisher freiwillige Selbstverpflichtung wird verbindlich: maximal drei Enten für die Ausbildung, eine für die Prüfung.
Wildmanagement, Abschusspläne und Hegeschauen
Im Bereich des Wildmanagements setzt das neue Gesetz auf mehr Eigenverantwortung der Jägerschaft – insbesondere beim Rehwild. Die bisher verpflichtenden dreijährigen Abschusspläne entfallen für diese Art, da eine genaue Bestandserhebung in vielen Revieren ohnehin kaum möglich ist. Für andere Schalenwildarten wie Rot-, Dam- oder Muffelwild bleibt die Abschussplanung jedoch erhalten. Rotwild kann künftig auch über einjährig angelegte Pläne reguliert werden, wenn es die jagdliche Situation erfordert.
Hegeschauen – insbesondere Trophäenschauen – werden in ihrer Pflichtausgestaltung reduziert. Nur in Revieren mit Hochwildhegegemeinschaften können Behörden diese künftig anordnen. Die Jägerschaften haben aber weiterhin die Möglichkeit, solche Veranstaltungen auf freiwilliger Basis zu organisieren. Damit wird einerseits Verwaltungsaufwand reduziert, andererseits bleibt die fachliche Kontrolle des Wildbestandes möglich.
Wildunfälle, Ortsnähe und Wildrettung: Klarere Verantwortlichkeiten
Eindeutig geregelt wird nun auch die Zuständigkeit bei Wildunfällen. Wenn etwa ein Tier nach einem Verkehrsunfall schwer verletzt ist, darf dieses künftig nicht mehr ausschließlich durch die jagdausübungsberechtigte Person, sondern auch durch andere sachkundige Personen erlöst werden. Dies soll eine schnellere, tierschutzgerechte Reaktion ermöglichen.
Zudem wird die Notwendigkeit betont, dass die Jagdausübenden möglichst ortsnah wohnen oder eine lokal erreichbare Ansprechperson mit gültigem Jagdschein benennen müssen. Dies soll insbesondere in Notfällen, bei Wildunfällen oder bei Wildschäden eine schnelle Erreichbarkeit gewährleisten.
Auch die Wildrettung vor Mäharbeiten wird klarer geregelt: Spätestens 36 Stunden vor der Mahd müssen Bewirtschafter die Jagdpächter informieren. Diese sind berechtigt, selbst Maßnahmen wie Drohneneinsätze durchzuführen oder müssen dulden, dass dies durch Dritte erfolgt. Dabei muss jedoch immer eine Person mit bestandener Jägerprüfung anwesend sein.
Invasive Arten und Hochwasserschutz: Die Rolle der Jägerschaft bei Nutria und Bisam
Angesichts der zunehmenden Gefahren durch invasive Arten – etwa durch die unterirdische Grabtätigkeit von Nutria und Bisam – plant das Land eine intensivere Einbindung der Jägerschaft in den Hochwasserschutz. Die Nutria bleibt weiterhin jagdbar, eine geplante Streichung aus dem Jagdrecht wurde verworfen. Stattdessen sieht das Gesetz eine Duldungspflicht für Bekämpfungsmaßnahmen vor, wenn Jäger ihrer Bejagungspflicht nicht nachkommen. Auch für die Bejagung des Bisams sollen Jäger künftig über Verwaltungsvorschrift befugt werden. Dies stellt eine Stärkung der staatlichen Eingriffsrechte in Jagdbezirke dar, falls kommunale Schutzmaßnahmen gefährdet sind.
Bezug zum Waffenrecht: Sicherheit, Kontrolle und gesetzliche Verzahnung
Die Neuregelung des Jagdrechts tangiert in mehreren Bereichen das bestehende Waffenrecht. So bleiben alle bisherigen Vorgaben des Bundeswaffengesetzes (WaffG) bestehen, etwa hinsichtlich der Aufbewahrung, des Transports, der Erwerbsvoraussetzungen und der Zuverlässigkeitsprüfung. Mit dem neuen Jagdgesetz einhergehend wird jedoch verstärkt Wert auf den Nachweis sicherer Waffenhandhabung gelegt, insbesondere bei der Ausbildung und Prüfung von Jagdscheinanwärtern.
Für das Führen von Schusswaffen bei der Jagdausübung gilt weiterhin, dass nur Personen mit gültigem Jagdschein, Eintrag in ein Revier oder ausdrücklicher Teilnahme an einer Gesellschaftsjagd berechtigt sind. Die geplante stärkere Verpflichtung zum Einsatz geprüfter Hunde bei Nachsuchen erhöht zugleich die Anforderungen an die sichere Waffenführung unter erschwerten Bedingungen – etwa im unwegsamen Gelände oder bei Nacht.
In der Diskussion ist zudem eine engere Verzahnung zwischen dem Jagd- und Waffenregister. Durch die Digitalisierung jagdlicher Verwaltung (z. B. durch Online-Abschussmeldungen) könnten künftig auch waffenrechtlich relevante Informationen zentral erfasst und bei Bedarf ausgetauscht werden, etwa im Falle eines Widerrufs der jagdlichen Zuverlässigkeit.
Gesellschaftlicher Diskurs und politischer Ausblick
Die Landesjägerschaft Niedersachsen zeigt sich gegenüber den Reformplänen skeptisch. In öffentlichen Stellungnahmen wird der Vorwurf erhoben, das Landwirtschaftsministerium verfolge versteckte Agenden und versuche, über scheinbare Kompromisse hinweg ihre eigene politische Linie durchzusetzen. Der geplante Protest am 30. Januar 2025 vor dem Landtag unterstreicht die ablehnende Haltung vieler Jägerinnen und Jäger gegenüber der Reform.
Gleichzeitig zeigen sich jedoch auch Stimmen, die die Neuregelung als notwendigen Schritt zur gesellschaftlichen Integration der Jagd verstehen. Eine stärkere Orientierung an ethischen und ökologischen Standards sei unumgänglich, um die Legitimation jagdlicher Praxis in einer zunehmend urbanisierten und tierschutzsensiblen Gesellschaft zu sichern.
Fazit
Die geplante Novelle des Niedersächsischen Jagdgesetzes ist ein komplexes Vorhaben, das tief in die Tradition der Jagdausübung eingreift und zugleich moderne Herausforderungen aufgreift. Zwischen Tierschutz, Artenerhalt, waffenrechtlicher Sicherheit und ländlicher Lebenswirklichkeit entsteht ein neues rechtliches Gefüge, das den Spagat zwischen Bewahrung und Wandel meistern muss. Ob dies gelingt, hängt nicht allein vom Wortlaut des Gesetzes ab – sondern von seiner praktischen Umsetzung, der Dialogfähigkeit aller Beteiligten und dem Willen, Jagd auch im 21. Jahrhundert verantwortungsvoll und gesellschaftlich akzeptiert auszuüben.