Wie Krankenhäuser in Nordwestdeutschland auf ärztlichen Fachkräftemangel reagieren
Oldenburg. Fachkräftesuche im Ausland, individuelle Arbeitszeitmodelle, attraktive Praktikumsplätze inklusive Kost und Logis für Medizinstudierende: Um qualifiziertes ärztliches Personal zu finden, gehen Krankenhäuser in Nordwestdeutschland vermehrt auch ungewöhnliche Wege. Das haben Versorgungsforschende der Fakultät VI Medizin und Gesundheitswissenschaften der Universität Oldenburg im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie herausgefunden, die sie in der Fachzeitschrift „Journal of Health Organization and Management“ veröffentlichten.
Um zu erfahren, wie die Verantwortlichen in den Krankenhäusern mit dem Mangel an ärztlichem Personal umgehen, interviewten sie zwischen September 2019 und Oktober 2020 Geschäftsführungen, Personalleitende sowie Personalreferentinnen und -referenten von 19 niedersächsischen und Bremer Krankenhäusern. Auswirkungen auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten hatte die angespannte Personallage im Befragungszeitraum nach Angaben der Befragten nur äußerst selten. Allerdings verteile sich die Last von Überstunden und Bereitschaftsdiensten bei unbesetzten Stellen auf immer weniger Schultern von Mitarbeitenden. „Ausfälle und unbesetzte Stellen zu kompensieren, sorgt besonders in kleinen Krankenhäusern mit ohnehin weniger Personal für Probleme“, sagt Helge Schnack, Wissenschaftler in der von Prof. Dr. Lena Ansmann geleiteten Abteilung „Organisationsbezogene Versorgungsforschung“.
Die Personalverantwortlichen berichteten, dass die Zahl der Bewerbungen auf offene Stellen spürbar abgenommen habe und diejenigen, die sich bewarben, vielfach einer „neuen Generation von Ärztinnen und Ärzten“ angehörten, die großen Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance lege. Gerade Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiteten deshalb immer häufiger in Teilzeit. Die reduzierten Arbeitszeiten zwingen Krankenhäuser dazu, ihre Strukturen – zum Beispiel Dienstpläne – daran anzupassen und sorgen gleichzeitig dafür, dass Facharztausbildungen länger dauern als bei Vollzeitkräften. Trotzdem bieten die Häuser schon seit längerem Teilzeitarbeitsplätze oder sogar maßgeschneiderte Dienstpläne für ärztliche Mitarbeitende an.
Wie die Forschenden im Rahmen ihrer Interviews erfahren haben, herrscht unter den Krankenhäusern ein großer Konkurrenzdruck, der auch dazu führt, dass diese einander Ärztinnen und Ärzte abwerben. Besonders Häuser in ländlichen Gegenden haben Schwierigkeiten, geeignetes ärztliches Personal zu finden – auch, weil sie nur eingeschränkte Fortbildungsmöglichkeiten bieten können. Sie konzentrieren sich daher auch auf die Suche nach Assistenzärztinnen und -ärzten im Ausland – und begleiten Kandidatinnen und Kandidaten auf dem Weg zur Approbation mit Sprachkursen und Praktika, manchmal unterstützen sie darüber hinaus mit Kost und Logis.
Auf ähnliche Weise versuchen Krankenhäuser, bereits Medizinstudierende an sich zu binden und bieten ihnen während ihrer Pflichtpraktika teils „Rundum-sorglos-Pakete“, die kostenlose Verpflegung, eine Unterkunft oder sogar Stipendienprogramme umfassen. Sie hoffen, dass die Studierenden nach ihrem Abschluss als Assistenzärztinnen und -ärzte zurückkehren. Insbesondere die Vertreterinnen und Vertreter ländlicher Krankenhäuser betonten in den Gesprächen ausdrücklich, dass zusätzliche Medizinstudienplätze dazu beitragen würden, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Höherrangige Facharzt- und Chefarztpositionen besetzen die Krankenhäuser häufig mithilfe von Headhuntern, mobilisieren aber auch ihre Angestellten mit Bonusprogrammen, damit diese Fachkräfte werben. Die klassische Stellenanzeige in der Zeitung zeigt nach Meinung der Befragten hingegen kaum noch Wirkung, eher kommen inzwischen Social-Media-Plattformen zum Einsatz.
Für Bewerbende ist die Situation dementsprechend rosig: Die Interviewten berichteten von guten Verhandlungspositionen für Ärztinnen und Ärzte, die sich in steigenden Gehältern und beschleunigten Einstellungsverfahren niederschlage. An der hohen Arbeitsbelastung ändert sich für sie beim Wechsel in ein anderes Krankenhaus allerdings wegen des allgemeinen Fachkräftemangels nichts. „Deshalb nehmen einige Personalverantwortliche auch Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte als Konkurrenz wahr, da dort die Arbeitszeiten als geregelter und familienfreundlicher gelten“, so Schnack.
Die Forschenden der Universität Oldenburg haben auch nach Abschluss dieser Untersuchung den Fachkräftemangel im medizinischen Bereich im Blick. Aktuell beschäftigen sie sich mit den Maßnahmen, die Krankenhäuser treffen, um ärztliches Personal zu halten und untersuchen den Pflegepersonalmangel in den Krankenhäusern der deutsch-niederländischen Grenzregion.
Originalpublikation: Helge Schnack et al: “The perceived impact of physician shortages on human resource strategies in German hospitals – a resource dependency perspective”
Pressemeldung von Universität Oldenburg